„Die Verschwörung der Idioten“ ist eine furios komische Südstaaten-Satire, die mit Ignatius J. Reilly eine der denkwürdigsten Figuren der modernen Literatur erschafft und zugleich ein gnadenloses Panorama des New Orleans der 1960er-Jahre entwirft.
Dass dieses extrem witzige, formal brillante Buch nur dank der verbissenen Hartnäckigkeit von John Kennedy Tooles Mutter überhaupt erschien und seinem Autor erst nach dessen Suizid den Pulitzer-Preis einbrachte, gibt der Lektüre eine zusätzliche, zutiefst tragische Dimension.
Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten
Von John Kennedy Toole
Ignaz J. Reilly – ein »Wirrkopf von Gottes Gnaden, ein fetter Don Quijote, ein perverser Thomas von Aquin« und in der Tat einer...
Handlung und Figuren
Im Zentrum steht Ignatius J. Reilly, ein übergewichtiger, arbeitsfauler, mittelalterbegeisterter „Gelehrter“, der Anfang dreißig noch bei seiner Mutter Irene in New Orleans lebt und die moderne Welt mit tosendem kulturpessimistischem Furor verachtet.
Gleich zu Beginn gerät er mit dem unglückseligen Polizisten Angelo Mancuso aneinander, als dieser ihn wegen seines exzentrischen Auftretens für einen verdächtigen Herumtreiber hält – eine Szene, die den Ton vorgibt: grotesk, laut, slapstickhaft und zugleich voll beißender Gesellschaftskritik.
Nach einem von ihr verschuldeten Autounfall zwingt Irene ihren Sohn, endlich arbeiten zu gehen, was Ignatius als sakrilegischen Angriff auf seinen „gerechten Zorn“ und seine geliebte Fernsehroutine empfindet.
Zunächst landet er in der heruntergekommenen Hosenfabrik „Hosen-Levy“, wo er Formularberge vernichtet, die Korrespondenz ins Chaos stürzt und die vornehmlich schwarzen Arbeiter zu einer Revolte gegen die Chefetage aufwiegelt – natürlich ohne selbst die geringste Verantwortung dafür zu übernehmen.
Nach dem Debakel bei Levy Pants schickt ihn Irene als fahrbaren Hot-Dog-Verkäufer auf die Straßen der Stadt, doch Ignatius ist, ganz konsequent, sein bester Kunde und versenkt den kleinen Betrieb in Schulden und Skandalen.
Parallel entfaltet der Roman ein buntes Ensemble: die nervöse Irene, Ignatius’ neurotische, politisch hyperaktive Studienfreundin und Briefpartnerin Myrna Minkoff, der zynische Wachmann Mancuso, der ausgebeutete Burma Jones im Stripclub „Night of Joy“, die zwielichtige Clubbesitzerin Lana Lee, die naive Tänzerin Darlene, das verfeindete Ehepaar Levy und die verwirrte alte Büroangestellte Miss Trixie.
All diese Figuren bewegen sich durch New Orleans in einem Geflecht aus Zufällen, Missverständnissen und Intrigen, das sich immer stärker verdichtet.
Kulminationspunkt ist der Stripclub „Night of Joy“, in dem Lana Lee heimlich Pornofotos vertreibt, Burma Jones notgedrungen am Existenzminimum arbeitet und Ignatius’ größenwahnsinnige Pläne – inklusive Piratenkostüm und politischer „Bewegung“ – in einem herrlich chaotischen Finale zusammenlaufen.
Humor und Satire
Der Humor des Romans ist vielschichtig: Von Slapstick über Situationskomik bis zur feinen, intellektuellen Ironie spannt Toole einen Bogen, der den Text zu einem der großen „Klassiker der humoristischen Literatur“ des 20. Jahrhunderts macht.
Kritiker haben Ignatius als eine Art „fetten Don Quijote“ oder grotesken, bauchlastigen Thomas von Aquin beschrieben – eine Überfigur, in der Gelehrsamkeit, Faulheit, Größenwahn und pubertärer Trotz auf urkomische Weise verschmelzen.
Besonders komisch sind die ausufernden Tiraden und inneren Monologe von Ignatius, der mit Verweisen auf mittelalterliche Scholastik und sein Lieblingsbuch „Der Trost der Philosophie“ versucht, jede Zumutung der modernen Welt zu rationalisieren und moralisch zu verurteilen.
Seine Briefe an Myrna, in denen er sich als genial verkanntes Opfer einer dekadenten Zivilisation stilisiert, stehen in köstlichem Kontrast zu den Szenen, in denen er real durch Fast-Food-Buden, Hinterhöfe und Stripclubs stolpert und sich mit Ketchup befleckt in immer absurdere Situationen manövriert.
Die Satire zielt auf die amerikanische Arbeitsethik, den Mythos vom „American Dream“, bigotte Moral, akademische Eitelkeiten, Konsumrausch und die Oberflächlichkeit der Mediengesellschaft.
Wie mehrere deutschsprachige Kritiken betonen, verschont Toole keine Schicht und keine Randgruppe, doch der Spott hat oft eine melancholische Unterströmung, weil hinter der Farce die Einsamkeit und Orientierungslosigkeit vieler Figuren sichtbar wird.
Ein Meisterstück des schwarzen Humors ist Ignatius’ Plan, durch die Gründung einer „Partei der Sodomiten“ den Militärbetrieb zu sabotieren: Eine Armee, die nur noch tanzt, tratscht und Kostüme bewundert, soll die Kriegsmaschinerie zum Stillstand bringen – eine Idee, die zugleich albern, politisch inkorrekt und entlarvend für Ignatius’ weltfremden Idealismus ist.
Toole nutzt solche grotesken Einfälle, um Heuchelei, Homophobie, Rassismus und politische Hohlphrasen bloßzustellen, ohne je in trockene Morallehre zu verfallen.
Erzählweise und Struktur
Erzählt wird überwiegend in der dritten Person, doch Toole wechselt virtuos die Perspektiven zwischen Ignatius, Irene, Myrna, Mancuso, Burma Jones, den Levys und weiteren Nebenfiguren, sodass sich ein breites, filmisch wirkendes Panorama von New Orleans entfaltet.
Gerade diese Wechsel, die von deutschsprachigen Rezensenten als „grandioser szenischer Witz“ gelobt werden, sorgen dafür, dass Szenen rhythmisch ineinandergreifen und Pointen oft aus dem Blickwinkel einer anderen Figur nachhallen oder nochmals gebrochen werden.
Stilistisch lebt der Roman von überbordenden Dialogen, genauem Ohr für Umgangssprache und Dialekt und einem souveränen Changieren zwischen hoher, gelehrter Sprache und derb-vulgärem Jargon.
Die Neuübersetzung von Alex Capus, auf der die aktuelle deutsche Ausgabe „Die Verschwörung der Idioten“ beruht, überträgt diesen Ton mit einer gewissen „Hemdsärmeligkeit“ und Lesbarkeit, die von mehreren Kritiken als frischer und „süffiger“ gegenüber der älteren, etwas gezierteren Übersetzung von Peter Marginter hervorgehoben wird.
Strukturell führt Toole eine Vielzahl von Handlungsfäden – die Intrigen in der Hosenfabrik, die fragwürdigen Geschäfte im „Night of Joy“, Mancusos verzweifelte Versuche, endlich einen „richtigen“ Verbrecher zu fassen, Myrnas Aktionen und Ignatius’ abstruse Pläne – auf ein überraschend geschlossenes Finale zu.
Gerade die Art, wie winzige Nebenmotive später plötzlich zentrale Bedeutung erhalten, zeigt die erzählerische Könnerschaft eines Autors, der sein Material und den Rhythmus seiner Komik vollständig beherrscht.
Die tragische Lebensgeschichte John Kennedy Tooles
John Kennedy Toole wurde 1937 in New Orleans geboren, studierte Englisch an der Tulane University und an der Columbia University und lehrte anschließend an verschiedenen Colleges, bevor er zum Militär eingezogen wurde.
Zeitzeugen beschreiben ihn als witzigen, geselligen Mann mit großer mimischer Begabung, zugleich aber als von seiner dominanten Mutter stark beeinflusst und immer wieder von Selbstzweifeln geplagt.
„A Confederacy of Dunces“ schrieb Toole Anfang der 1960er-Jahre, zum Teil während seines Militärdienstes und seiner Lehrtätigkeit, doch seine Versuche, den Roman zu veröffentlichen, scheiterten wiederholt, unter anderem an einem zermürbenden Austausch mit dem renommierten Lektor Robert Gottlieb bei Simon & Schuster.
Diese wiederholten Absagen verstärkten seine Depressionen und paranoiden Vorstellungen, die sich vor dem Hintergrund der politischen Spannungen und Attentate jener Jahre weiter zuspitzten.
1969 verließ Toole New Orleans zu einer ziellosen Autofahrt durch den Süden und nahm sich schließlich in der Nähe von Biloxi, Mississippi, mit nur 31 Jahren das Leben, indem er sein Auto mit Abgasen füllte.
Seine Mutter Thelma fand das Manuskript, war von dessen Qualität überzeugt und trug es jahrelang von Verlag zu Verlag, bis sie den Schriftsteller und Professor Walker Percy davon überzeugen konnte, das Buch zu lesen und sich für eine Veröffentlichung bei Louisiana State University Press starkzumachen.
Der Roman erschien 1980, elf Jahre nach Tooles Tod, und wurde ein Überraschungserfolg, der 1981 mit dem Pulitzer Prize for Fiction ausgezeichnet wurde – erst der zweite Fall eines posthum prämierten Romanautors in dieser Kategorie.
Gerade im deutschsprachigen Feuilleton wird immer wieder betont, wie bitter es ist, dass ein so ungeheuer komisches, lebendiges Buch seinem Verfasser selbst keinen Trost mehr spenden konnte und sein Ruhm erst danach einsetzte.
Fazit
„Die Verschwörung der Idioten“ ist ein herausragender Roman für alle Leserinnen und Leser, die pointierten Sprachwitz, absurde Figuren und zugleich eine scharfe, aber menschenkundige Gesellschaftssatire schätzen.
Die Verbindung aus überschäumendem Humor, meisterhafter Erzähltechnik und der tragischen Biografie John Kennedy Tooles macht die Lektüre nicht nur vergnüglich, sondern auch berührend, weil hinter dem Gelächter stets die Ahnung eines verlorenen Talents mitschwingt.
Gesamtbewertung
Gesamtbewertung-
Lesbarkeit4/5 Good
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Stil5/5 Amazing
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Plot5/5 Amazing
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Charaktere5/5 Amazing
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Umschlag/Layout4/5 Good
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Preis3/5 Neutral
