Frank Schätzings „Der Schwarm“ ist ein wuchtiger Ökothriller, der Wissenschaft, Katastrophenszenario und Science-Fiction in einem globalen Plot verbindet. Mit seinem knapp tausend Seiten starken Umfang ist das Buch zweifellos ein Ereignis – aber nicht durchgängig ein Lesegenuss. Zwischen brillanten Einfällen und packenden Szenen gibt es auch spürbare Längen, überkonstruiertes Drama und manche Wendung, die eher nach Hollywood-Drehbuch als nach glaubwürdigem Roman wirkt.
Der Schwarm
Von Frank Schätzing
Das Meer schlägt zurück – in Frank Schätzings meisterhaftem Thriller erwächst der Menschheit...
📖 Die Story: Wenn das Meer zurückschlägt
Weltweit häufen sich rätselhafte Vorfälle: Wale greifen Schiffe an, Küstenregionen werden bedroht, Meeresorganismen verhalten sich plötzlich feindselig. Nach und nach setzt sich das Puzzle zusammen: Eine unbekannte, intelligente Lebensform aus den Tiefen der Ozeane scheint zurückzuschlagen. Die Grundidee ist grandios – originell, beunruhigend und hochaktuell.
Allerdings verliert sich die Handlung im Mittelteil zunehmend in Nebensträngen und Detailbeschreibungen. Manche Szenen wirken so spektakulär arrangiert, dass sie eher wie eine Vorlage für eine TV-Serie erscheinen, weniger wie eine organisch gewachsene Entwicklung der Geschichte. Die Logik des Plots steht dann gelegentlich hinter dem Wunsch nach Effekt zurück.
🔬 Wissenschaft zwischen Faszination und Überfrachtung
Schätzing hat akribisch recherchiert: Ozeanografie, Meeresbiologie, Geologie und Klimaforschung werden ausführlich und oft beeindruckend einleuchtend erklärt. Wer Freude daran hat, tief in wissenschaftliche Hintergründe einzutauchen, wird viele dieser Passagen mit Gewinn lesen.
Doch genau diese Stärke ist zugleich eine Schwäche. Zahlreiche Erklärblöcke bremsen das Erzähltempo spürbar. Anstatt die wissenschaftlichen Fakten elegant in den Plot einzubetten, wirken sie phasenweise wie umfangreiche Sachbuch-Einlagen. Leserinnen und Leser, die in erster Linie einen spannenden Thriller erwarten, könnten hier schnell die Geduld verlieren.
🎭 Figuren: Viel Personal, wechselnde Tiefe
Der Roman versammelt ein großes internationales Figurenensemble: Forscher, Militärs, Politiker und Aktivisten bevölkern die Seiten. Einzelne Figuren – etwa Sigur Johanson oder Leon Anawak – bleiben im Gedächtnis und gewinnen im Verlauf des Buches an Profil. Einige ihrer inneren Konflikte sind glaubwürdig und tragen den Roman emotional.
Gleichzeitig bleiben viele Nebenfiguren eher funktional: Sie dienen dazu, Informationen zu liefern, bestimmte Perspektiven zu repräsentieren oder Plotpunkte voranzutreiben. Manchmal wirken sie etwas schablonenhaft – der zynische Militär, der karrierebewusste Politiker, die geniale Wissenschaftlerin unter Druck. Bei der Fülle an Figuren fällt es zudem nicht immer leicht, emotionale Bindung aufzubauen.
🔥 Spannung mit deutlichen Durchhängern
„Der Schwarm“ hat ohne Frage äußerst packende Momente: Katastrophenszenen, Enthüllungen über die Natur der Bedrohung, politische Krisensitzungen – vieles davon liest sich wie ein hochkarätiger Katastrophenfilm in Romanform. Wenn die Handlung Fahrt aufnimmt, entsteht ein echter Sog.
Dem gegenüber stehen jedoch Passagen, in denen die Erzählung ins Stocken gerät. Detaillierte Beschreibungen technischer Abläufe, lange Dialoge in Konferenzräumen und wiederholte Erklärungen sorgen für Längen. Vor allem im mittleren Drittel wirkt der Roman überdehnt. Das große Finale setzt zwar auf Spektakel, gleichzeitig erscheinen einige Lösungen und Wendungen so konstruiert, dass die Glaubwürdigkeit darunter leidet.
🌍 Umweltkritik mit gelegigem Zeigefinger
Die ökologische Botschaft des Romans ist kraftvoll und wichtig: Schätzing macht deutlich, wie rücksichtslos der Mensch die Meere ausbeutet und welche unkalkulierbaren Folgen dies haben könnte. Der Roman zwingt dazu, über unsere Beziehung zur Natur und unsere Verantwortung nachzudenken.
Allerdings gleitet die Kritik bisweilen in Deutlichkeit ab, die fast schon belehrend wirkt. Statt die Leserinnen und Leser selbst Schlüsse ziehen zu lassen, werden die Kernaussagen gelegentlich recht direkt formuliert. Die Balance zwischen erzählerischer Subtilität und Botschaft ist nicht immer gelungen.
💡 Fazit: Eindrucksvoll, aber nicht makellos
„Der Schwarm“ ist ein ambitionierter, in Teilen brillanter Ökothriller, der Mut zur Größe beweist und thematisch weit über den Durchschnitts-Thriller hinausgeht. Die Verbindung aus Wissenschaft, globaler Bedrohung und Umweltkritik macht das Buch einzigartig – und viele Szenen bleiben lange im Gedächtnis.
Gleichzeitig ist der Roman zu lang, zu überladen und nicht immer so stringent, wie er sein könnte. Wer bereit ist, Längen, wissenschaftliche Exkurse und einige konstruierte Plotwendungen in Kauf zu nehmen, wird mit einem vielschichtigen, beeindruckenden Leseerlebnis belohnt. Wer jedoch einen straff erzählten, durchgängig spannenden Thriller sucht, könnte sich stellenweise durchkämpfen müssen.
Insgesamt ein starkes, aber nicht unumstrittenes Werk – eher eine Empfehlung für geduldige Leserinnen und Leser, die komplexe Stoffe und wissenschaftliche Tiefe schätzen, als für Freunde geradliniger Pageturner. ⭐⭐⭐☆ (3,5/5)
